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Die bekanntesten Opernrollen Wozzeck – der Getriebene

Franz Wozzeck durchzittert sein Leben in Alban Bergs Oper als riesigen, alles verschlingenden Alptraum – mit teilweise psychedelischer Musik. Aber was ist dieser Antiheld aus Georg Büchners Drama eigentlich für ein Typ? BR-KLASSIK wirft einen Blick auf einen der wichtigsten Charaktere der Operngeschichte.

Wozzeck Staatsoper Wien | Bildquelle: © Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Bildquelle: © Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Wäre Wozzeck eine Figur in einem deutschen Fernsehkrimi, wäre die Sache klar: "Mann aus einfachen Verhältnissen tötet Geliebte aus Eifersucht. Und bringt sich dann selbst um." Fall erledigt. Akte zu. In Georg Büchners Drama "Woyzeck" und auch in Alban Bergs Oper ist die Schuldfrage komplizierter. Schon allein deswegen, weil man nicht anders kann, als Mitleid zu haben mit diesem Wozzeck.

Innere Konflikte eines Mannes am Abgrund

Wozzeck ist ein etwas wabbeliger Typ, arm und ängstlich wie eine Kirchenmaus. Er nimmt jeden noch so lausigen Job an, um seine Geliebte und den unehelichen Sohn finanziell über die Runden zu bringen. All das ist recht ehrenhaft. Er will sich am eigenen Schopf aus der Misere ziehen. Wenn da nicht die anderen wären, die Besseren, Reicheren, Mächtigeren, die Gebildeten: Sie machen Wozzeck zum Gespött, triezen ihn, quälen ihn, spannen ihm die Geliebte aus.

Die beliebtesten Opernfiguren der Musikgeschichte

Tannhäuser, Carmen, Aida und Co. – was macht die berühmtesten Opernfiguren eigentlich aus? BR-KLASSIK wirft einen Blick in die persönlichen Abgründe der wichtigsten Charaktere der Operngeschichte.

Sprechgesang statt erhebender Arie

Wozzeck bekommt bei allem Leid, das er ertragen muss, von Alban Berg nicht mal eine zu Herzen gehende Arie auf den geschundenen Leib komponiert. Stattdessen japst er im Sprechgesang, lässt Akkorde in der Luft hängen wie eine unheilverkündende dunkelgraue Wolke. Allein schon, wie Wozzeck von den anderen beim Namen genannt wird: Wozzeck, heutzutage erinnert das klanglich an "WhatsApp", aber aus dem Munde des Hauptmanns wird Wozzeck zu einem Stück Dreck.

Psychologische Themen, die einen betroffen machen

Szenenbild aus "Wozzeck" von Alban Berg am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: © Ludwig Olah Mehr als nur ein kaltblütiger Frauenmörder: "Wozzeck" von Alban Berg am Staatstheater Nürnberg. | Bildquelle: © Ludwig Olah Wer sich mit Psychoanalyse und Sozialgeschichte auskennt, hat bei der Deutung von Wozzeck ein paar Vorteile. Weil man sich dann wenigstens einen Reim auf die Zwänge machen kann, in die der Titelheld verstrickt ist: Dass er sozial benachteiligt ist, sich vor seiner Liebsten profilieren möchte, ihn Verlustängste quälen, er tierisch eifersüchtig ist und so weiter. So klar wie sich das auf dem Papier auftut, so klar ist auch: Helfen tut einem das Know-how aus den Lehrbüchern gar nichts, sobald es um die eigenen Gefühle geht. Also darum, wie betroffen einen der ganze Schlamassel macht, in dem Wozzeck steckt. Wie einen seine tiefe Traurigkeit beutelt, die noch tiefer ist als seine soziale Stellung. Man will aufspringen und Wozzeck zur Seite stehen, laut rufen: Lasst ihn in Ruhe! Stattdessen sitzt man wie gefesselt im gepolsterten Opernsessel und verfolgt mit Herzklopfen das soziale und persönliche Klagelied.

Ein Mörder in der geschlossenen Schublade

Wozzeck ist der, von dem man beim ersten Auftritt schon ahnt: Er ist der Loser, der Versager, der Gemobbte. Er steuert auf den Abgrund zu, die Frage ist nur, wie. Und dieses "wie" ist brutal. Mit dem Messer tötet er Marie. Was für ein Schwein, will man denken. Aber man kann es nicht. Denn durch die Selbsterkenntnis dieses Kerls schließt er die Schublade, in die man den Frauenmörder am liebsten stopfen möchte. Mit einem der meistzitierten Sätze der deutschen Literatur: "Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht."

Die besten Interpreten der Rolle

Walter Berry als Wozzeck – "Das Messer? Wo ist das Messer?
Franz Grundheber als Wozzeck – "Du, der Platz ist verflucht!"
Michael Volle als Wozzeck an der Bayerischen Staatsoper
Christian Gerhaher als Wozzeck an der Oper Zürich

Kein einfach zu lösender Fernsehkrimi

Alban Berg lässt einen den Schwindel, den Abgrund, schon die ganze Zeit spüren. Ist mit der Musik sozusagen der Zeit voraus, symphonisch durchkomponiert erzählt er das Drama. Wenn Wozzeck im ersten Akt die perfiden Sticheleien seines Vorgesetzten über sich ergehen lässt, bohrt sich Bergs Musik wie winzige Himbeerdornen unter die Haut. Drangsalierend setzt Berg ein Crescendo auf nur einen Ton, als ob diesem Wozzeck ein Nervenzusammenbruch droht. Und im Finale, bestialisch spätromantisch gehalten, rührt Bergs Musik selbst Kühlschränke zu Tränen. Mulmig ist das Gefühl, das dann bleibt: Denn so einfach wie im Fernsehkrimi löst sich der Fall Wozzeck in der Oper nicht. Hier wird Ping-Pong gespielt mit der Schuldfrage, mit den Emotionen und der Rationalität, mit dem Rechtsbewusstsein und der Menschlichkeit. Am Ende ist der Vorhang zu und alle Fragen bleiben offen.

Sendung: "Allegro" am 18. April 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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